Das Zeitalter des Selbstbewusstseins

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Ein Interview mit Stephanie Neubert, Gründerin von HEYDAY, über die Neudefinition von Stil und Empowerment für Frauen über 40.

An interview with
HEYDAY Magazine ist eine inspirierende digitale Plattform, die Frauen ab 40 eine frische Perspektive auf Stil, Leben und Erfahrung bietet. Im Interview spricht Stephanie Neubert, die Gründerin von HEYDAY, über ihre Vision, veraltete Altersbilder hinter sich zu lassen und das Leben in all seinen Facetten zu feiern – von der individuellen Definition von Langlebigkeit bis hin zur Kunst, selbstbewusst und kreativ zu altern.

HEYDAY Magazine steht für eine positive Sicht auf das Älterwerden, insbesondere für Frauen über 40. Wie definierst Du persönlich und beruflich den Begriff "Langlebigkeit"?

Als Teil der weltweiten Pro Age Bewegung macht HEYDAY Frauen Mut – Mut für ein selbstbestimmtes, entspanntes und fröhliches Leben im Alter. Das und unser Claim THE POWER OF AGING ergänzen sich sehr gut mit dem Thema Langlebigkeit oder Longevity. Für mich bedeutet der Begriff, so lange wie möglich gesund, agil und voller Lebensfreude zu bleiben. Die Zeit von 60 bis 80 oder 90 ist lang. Ich möchte diesen Lebensabschnitt sicher nicht dahinvegetieren. Im Gegenteil: Ich möchte so gut es geht mein Leben genießen, noch arbeiten, tanzen, reisen, neue Menschen kennenlernen und auf Veranstaltungen gehen. Vielleicht mit einem etwas geringeren Tempo, aber mit viel Spaß. Um das zu erreichen, ist ein gesunder Lebensstil ohne Rauchen, ohne Alkohol, mit gesunder Ernährung, gutem Schlaf und regelmäßiger Bewegung wichtig. Was aber meiner Meinung nach am wichtigsten ist, sind diese zwei Faktoren: 1. Tiefe, ehrliche Verbindungen zu Menschen, auf die man sich verlassen kann und bei denen man sich geborgen fühlt. 2. Etwas Sinnvolles zu tun, das einen erfüllt und einem etwas zurückgibt.

Was inspiriert Dich an Deiner Arbeit mit HEYDAY, und welche Aspekte empfindest Du als besonders erfüllend?

Was mich an dem Thema so fasziniert: Älterwerden betrifft alle Menschen – unabhängig von Herkunft, Hautfarbe, Bildungsgrad oder Einkommen. Wir gehen alle diesen Weg – komme, was wolle. Ältere Menschen sind für mich eine Bereicherung. Ich liebe es, mich mit dem Thema zu beschäftigen. Meine Heyday-Frauen sind meine Vorbilder. Sie haben dafür gesorgt, dass ich heute da bin, wo ich bin. Und dafür bin ich unendlich dankbar.

Dass ich mich beruflich mit diesem Thema beschäftige, ist wahrscheinlich eine Fügung. Mich begleitet das Thema Älterwerden schon sehr lange. Schon als Kind unterhielt ich mich gern mit älteren Menschen und lauschte ihren Lebensgeschichten. Später, im Teenageralter, begann ich, jedes Wochenende auf Flohmärkten im Umland zu stöbern. Dort habe ich Unmengen gebrauchter Klamotten und Gegenstände von älteren Menschen abgekauft und natürlich wollte ich unbedingt wissen, was all diese Dinge erlebt haben. Auf welchen Partys sie getragen wurden, warum sie sich so gut darin gefühlt haben usw. Genau diese Lebensgeschichten sind es, die mich inspirieren. Später hatte ich dann immer einen generationsübergreifenden Freundeskreis. Eine meiner engsten Freundinnen war 86.

Besonders erfüllend ist der direkte Draht zu unserer Community und das unglaublich dankbare Feedback. Wenn Du aus dem Nichts morgens eine Nachricht bekommst wie: Danke, dass Du Dich für uns Frauen über 40 einsetzt. Oder: Wenn ich Eure Geschichten lese, habe ich keine Angst mehr vor dem Älterwerden. Auch Jüngere schreiben uns manchmal: Danke, endlich eine coole ältere Frau. So will ich auch werden, wenn ich mal 80 bin.

Welche Bedeutung hat das Alter heute in der Geschäftswelt und der Modebranche? Welche Chancen und Potenziale siehst Du darin?

Meiner Meinung nach ist dieses vorherrschende negative Altersbild ein absolutes No-Go. Es macht mich betroffen, dass ältere Menschen und ihre Lebenserfahrung in unserer Gesellschaft nicht mehr wertgeschätzt werden. Vor allem in der Arbeitswelt werden ältere Menschen, insbesondere Frauen, oft als weniger kompetent, lernfähig oder innovativ wahrgenommen. Stichwort Ageism. Altersdiskriminierung in der Arbeitswelt ist bei uns gang und gäbe. Dabei ist das Alter mehr denn je eine Chance für die Geschäftswelt und uns alle. Wir bei HEYDAY setzen uns dafür ein, dass ältere Frauen als wichtiger Teil der Gesellschaft gesehen werden. Immer mehr Frauen nehmen ihr Leben selbst in die Hand, starten neue Projekte und verschaffen sich in der Gesellschaft Gehör. Ihr Wissen und ihre Lebenserfahrung sind dabei ihr wertvollster Schatz. Ältere Menschen bringen wertvolles Wissen, Branchenkenntnisse und emotionale Intelligenz mit. Unternehmen, die auf Altersdiversität setzen, nutzen somit ein breiteres Spektrum an Kompetenzen und Erfahrungen. Die steigende Lebenserwartung und das aktive Leben älterer Menschen schaffen neue Märkte – von Lifestyle-Produkten bis hin zu Luxusmode. Unternehmen, die das Potenzial des Alters erkennen, können langfristig profitieren.

Wie erlebst Du die Verbindung zwischen Älterwerden und Selbstermächtigung in der Modebranche?

Die Modebranche ist immer noch stark auf Jugendlichkeit fixiert. Aber es gibt zum Glück eine Bewegung, die Alter und Individualität feiert. Wobei es einen Unterschied zwischen Werbung und Laufsteg gibt. Denn auf dem Laufsteg sieht man kaum ältere Menschen. Selbstermächtigung entsteht durch Sichtbarkeit: Wenn ältere Menschen als modische, selbstbewusste Individuen dargestellt werden, wird gesellschaftlicher Druck abgebaut, sich dem jugendlichen Ideal anzupassen. Mode gibt älteren Menschen die Freiheit, das eigene Alter mit Stolz zu tragen und mit ihrer Kleidung ihre eigene Geschichte zu erzählen. Das sehen wir gerade an den vielen coolen älteren Frauen in den sozialen Medien. Manche haben so unglaublich kreative, ausdrucksstarke Looks. Sie zeigen, dass Stil eben zeitlos ist und dass Altern mit Kreativität, Spaß und Selbstbewusstsein einhergehen kann.

Welche Wirkung haben deiner Meinung nach Vorbilder über 40 in Mode und Medien auf die Veränderung gesellschaftlicher Ansichten über das Älterwerden?

Wenn Menschen über 40 in Mode und Medien sichtbarer sind, wird die Wahrnehmung von Alter als unsichtbare Phase im Leben aufgebrochen. Vorbilder über 40 in Mode und Medien haben die Kraft, gesellschaftliche Normen zu verschieben und ein positives, realistisches Bild vom Älterwerden zu etablieren. Sie inspirieren dazu, Alter nicht als Limit, sondern als Chance zu sehen, Selbstbewusstsein, Kreativität und Stil zu feiern. Doch viele Brands richten ihre Marketing-Strategien immer noch überwiegend auf Teenager und junge Erwachsene aus. Es macht mich wütend, wenn mir Firmen sagen, dass ältere Frauen unsexy und frustriert sind, dass sie eh nichts mehr kaufen, weil sie doch bald nicht mehr da sind oder dass sie ihr Geld nur für die Enkel horten. Manche sagen auch knallhart: Wir wollen unsere Produkte nicht an alten Frauen sehen.

Wir müssen das Problem an der Wurzel packen und endlich begreifen, dass Älterwerden bedeutet, zu leben. Lust auf das Älterwerden zu haben, heißt, Lust auf das Leben zu haben. Je mehr positive Beispiele wir sehen wie Iris Apfel, Linda Rodin oder mein Mode-Vorbild Tilda Swinton, desto mehr assoziieren wir das Alter mit positiven Aspekten. Dabei sollten wir auch an die jüngeren Generationen denken und ihnen zeigen, dass ein erfülltes, stilvolles Leben in jedem Alter möglich ist.

Wie können Modemarken Deiner Meinung nach authentischere und inklusivere Geschichten über Langlebigkeit für Frauen erzählen? Warum ist es so entscheidend, diesen Weg zu gehen?

Marken müssen endlich die Wichtigkeit und das Potenzial dieser Zielgruppe erkennen. Denn die Gesellschaft wird immer älter – doch sie fühlt sich oft nicht angesprochen. Frauen über 40 sind eine mächtige Zielgruppe mit erheblicher Kaufkraft. Dazu gibt es eindeutige Studien. Wenn ich mich in der Werbung nur als Frau in Mausgrau gekleidet am Rollator oder auf dem Treppenlift sehe, habe ich auch keine Lust mehr, etwas zu kaufen. Authentische Ansprache schafft langfristige Kundenbindung und zeigt Wertschätzung für diese oft vernachlässigte Gruppe. Deswegen sollten Marken inspirierende Lebensgeschichten erzählen und gern auch Frauen verschiedener Generationen zusammenbringen.

Wichtig ist, diese unterschiedlichen Altersgruppen regelmäßig zu zeigen. Denn Authentizität entsteht, wenn diese Frauen nicht nur als Trend dargestellt werden, sondern regelmäßig präsent sind. Bitte keine exzessive Retusche und unrealistische Darstellungen von Frauen. Auch die Mode selbst sollte auf Langlebigkeit ausgelegt sein, sowohl bei der Qualität als auch beim Stil.

Aus Deiner Erfahrung heraus: Wie beeinflussen gesellschaftliche Erwartungen ältere Frauen, insbesondere in Bezug auf ihr Selbstwertgefühl und ihre Lebensenergie?

Gesellschaftliche Erwartungen und Altersstereotypen haben einen erheblichen Einfluss auf das Selbstwertgefühl und die Lebensenergie älterer Frauen. Der Druck, jung, fit und schlank sein zu müssen, gestärkt durch die Medien, ist eine enorme Belastung für Frauen. Wer dem aktuellen Schönheitsideal nicht standhalten kann, fühlt sich oft unattraktiv und nicht mehr gesehen. Überkommene gesellschaftliche Konventionen und Benimmregeln führen dazu, dass viele Frauen sich ab Mitte 40 zurücknehmen, liebgewonnene Gewohnheiten aufgeben, den Spaß an modischer Kleidung verlieren und es nicht wagen, weiterhin laut, albern oder leidenschaftlich zu sein. Hinzu kommt, dass ältere Frauen häufig auf die liebe Rolle der Großmutter oder Hausfrau reduziert werden. Ihre eigenen Wünsche und Bedürfnisse stellen sie hinten an, was dazu führt, dass sie sich immer unwichtiger fühlen. Deswegen brauchen wir mehr realistische Darstellungen vom Alter: Falten, graue Haare, verschiedene Körperformen und Lebensweisen.

In der Modebranche wird oft betont, wie wichtig es ist, relevant zu bleiben. Was bedeutet Relevanz Deiner Meinung nach für Frauen in ihren 40ern und darüber hinaus?

Relevanz bedeutet Sichtbarkeit, Wertschätzung und Respekt. Frauen über 40 sollten nicht mehr auf jugendliche Standards reduziert werden, sondern auf ihr Können, ihren Stil und ihre natürliche Schönheit. Relevanz für Frauen über 40 bedeutet, dass sie in der Modebranche sichtbar und authentisch repräsentiert werden – auf dem Laufsteg, in Kampagnen und als Designerinnen.

Wie können Wellness, Sport und Mode dazu beitragen, Frauen zu einem längeren, aktiveren und erfüllteren Leben zu inspirieren?

Ich habe den Eindruck, dass die meisten Frauen wissen, dass Gesundheit das höchste Gut ist. Dementsprechend ist ihnen daran gelegen, gesund und fit älter zu werden. Prävention ist ein großes Thema, sie achten auf ihren Körper und arbeiten an ihrem Mindset. Dazu gehört auch, das NEIN-Sagen zu lernen. An den vielen modischen Frauen über 40 auf Instagram und auch im echten Leben sieht man, wie ein gutes Selbstwertgefühl und Mode zusammenhängen. Wer sich in seinem Outfit wohlfühlt, fühlt sich selbstsicher und energievoll bis ins hohe Alter.

Welche Veränderungen wünschst Du Dir in den nächsten zehn Jahren für Frauen, insbesondere in Bezug auf ihre Sichtbarkeit und Wertschätzung in der Modebranche?

Ich wünsche mir mehr ältere, authentische Role Models, nicht nur aus der Wirtschaft, dem Sport, der Musik, Kunst und Mode. Gerade in der Mode und Beauty wünsche ich mir mehr normale Frauen, die ehrlich über das Älterwerden sprechen, über ihre Erfahrungen, ihre Ängste, aber auch über die Chancen und Wünsche im Alter. Fest steht: Je mehr ältere Frauen als aktive, relevante und wertvolle Mitglieder der Gesellschaft anerkannt werden, desto stärker können wir alle unser Potenzial entfalten und ein erfülltes Leben führen.

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Dieser Artikel wurde am Jan 19, 2025 veröffentlicht und ist Teil des Melagence Paper Issue #7